Angst zu Verwöhnen
Eine prompte Bedürfnisbefriedigung ist nicht mit dem Verwöhnen im negativen Wortsinn gleichzusetzen. Feinfühligkeit unterscheidet sich von Verwöhnen und Überbehüten dadurch, dass feinfühlige Eltern ihr Kind in seiner zunehmenden Selbständigkeit und seiner wachsenden Kommunikationsfähigkeit fördern.
Manche Eltern machen sich Sorgen, ob sie ihrem Kind schaden, wenn sie auf alle seine Bedürfnisse eingehen. Sie glauben, man müsse das Kind vom ersten Lebenstag an dazu erziehen, zu warten und zu verzichten und ganz allgemein auf die "Härte des Lebens" vorbereiten. Viele Vorurteile aus früheren Erziehungpraktiken wirken hier nach. Tatsächlich kann der Säugling von diesem „gut gemeinten“ Verzichts- und Frustrationstraining gar nicht so profitieren, wie Eltern es sich erhoffen. Der Säugling hat noch kein bewusstes „Ich“ entwickelt. Es wird angenommen, dass der Säugling bei Nichtbeachtung erfährt, dass seine Stimme nicht gehört wird und seine Bedürfnisse nichts zählen. Schenkt ihm die Umgebung keine Aufmerksamkeit führt dies im Innersten wahrscheinlich zum Gefühl, nichts wert zu sein.
Säuglinge und Kleinkinder können die Befriedigung ihrer Bedürfnisse noch nicht selbst steuern und sind von der Ko-Regulation ihrer Bindungs- und Pflegepersonen abhängig. Intuitiv reichen die meisten Mütter auf der ganzen Welt ihrem hungrigen Baby unmittelbar die Brust und „stillen“ sein Bedürfnis. Die Fähigkeit zur Selbstregulation wird durch vielfältige Erfahrungen der Ko-Regulation durch die Bindungspersonen gelernt (Kißgen & Heinen 2011, S. 293). Bindungsprozesse sind maßgeblich an der Entwicklung der Selbstregulation und Aufmerksamkeitsregulation beteiligt (Fonagy & Target 2004). Bleibt die Ko-Regulation aus und der panisch schreiende Säugling sich selbst überlassen, kann sich das negativ auf seine Gehirnentwicklung auswirken.
In den ersten Lebensjahren bilden sich das Urvertrauen und das Selbstwertgefühl. Man kann den Säugling aus dieser Sicht heraus gar nicht verwöhnen.