Einleitung

Bindung

Bindung gehört zum Menschen

Bindungs-Explorations-Balance

Erste Bindung an die Mutter

Schwangerschaft und Geburt

Phasen der Bindungsentwicklung

Bindungsqualitäten

Entstehung der sicheren Bindung

Bindung und Sprache

Vorteile der "sicheren Bindung"

Sichere Bindung erhält das Leben

Angst zu Verwöhnen

Bindung und Autonomie

Bedeutung der Vater-Kind-Bindung

Frühe Fremdbetreuung

Übergänge in Betreuungseinrichtungen

Bindung, Bildung und Kultur

Literatur: Bindung

Literatur: Frühe Fremdbetreuung

Literatur: Kinder verstehen und liebevoll großziehen

 

 

 

Frühe Fremdbetreuung: Übergänge in Betreuungseinrichtungen

1. Die sanfte Eingewöhnung in die Betreuungseinrichtung

Die sanfte Eingewöhnung zeichnet sich durch einen rücksichtsvollen und achtsamen Übergang von der Familie zur institutionellen Betreuung aus und schützt jene Säuglinge, Kleinst- und Kleinkinder, welche durch ihre Unreife noch nicht den Entwicklungsstand erreicht haben, „bewusst“ (Ich will!) und „orientiert“ (Ich kenne mich in dieser Welt schon ein bisschen aus!) in eine Institution einzutreten. Anders ist es beim Kindergarteneintritt „reifer“ vierjähriger oder beim Schuleintritt sechsjähriger Kinder, welche bereits „abschiedsbewusst“ in eine neue Erfahrungs- und Lernwelt hineingehen können. Die sanfte Eingewöhnung steht im Zeichen des Kindeswohl und der Prävention. Sie soll dem Kind helfen, die Trennungsbelastung zu bewältigen, sich im neuen Betreuungsumfeld einzuleben und die Familienbande zu erhalten. Das Kind gibt dabei das Tempo vor.

Die sanfte Eingewöhnung zum Wohle des Kindes fordert von allen Erwachsenen ein Überdenken, was die soziale Leistungsfähigkeit angeht, und die Bereitschaft zur  Erziehungspartnerschaft von Betreuungspersonen und Eltern. Diese hierfür notwendige  „Verschränkung“ der Familie und der Betreuungseinrichtung zeichnet sich durch persönliche Öffnung, Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung aus. Die Mutter als „abgebender Teil“ und die Kleinkindpädagogin als „empfangender Teil“ müssen eine tragfähige Beziehung zueinander aufbauen, die eine Brücke bildet, über die das Kind in beide Richtungen gehen kann. Die sanfte Eingewöhnung wird zuerst von der Betreuungsperson und der Mutter gemeinsam besprochen und in weiterer Folge gemeinsam getragen. Die turbulenten und riskanten Übergangszeiten müssen durch eine besonders liebevolle und intensive elterliche Zuwendung in der Zeit, in der die Familie vereint zu Hause ist, emotional abgesichert werden. Auch ist durch den Stress mit einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit des Kindes zu rechnen. Erst nach der sanften Eingewöhnung kann die Aufenthaltsdauer des Kindes in der Betreuungseinrichtung daraufhin erweitert werden, dass es dort auch Mahlzeiten zu sich nimmt, ein Mittagsschläfchen hält und in der Sauberkeitserziehung weiter vorankommt. Hat das Kind zu seiner Beziehungsperson idealer Weise eine „sichere Bindung“ aufgebaut und sie sprichwörtlich „ins Herz geschlossen“, bedarf jeder weitere Wechsel der Betreuung, z.B. durch den Übertritt von einer Krippe in eine Kindergartengruppe, wiederum größter Sorgfalt. Abschied und Neubeginn erfordern vom kleinen Kind viel Kraft. Rituale, ausreichend Zeit für die Umstellung, offene Türen der abgebenden und empfangenden Einrichtung und viel Verständnis von Seiten der Erwachsenen können das Kind bei der Bewältigung dieser Anforderung unterstützen. In Betreuungseinrichtungen, in denen die Krippe und der Kindergarten kooperierend miteinander bestehen, z.B. durch wirklich gut funktionierende und personell ausreichend ausgestattete Familiengruppen, wird für die Krippenkinder der „Übertrittsstress“  abgeschwächt.

Kennzeichen einer gelungenen Eingewöhnung

Als Kennzeichen einer gelungenen Eingewöhnung betrachtet die Expertengruppe der Wiener Krippenstudie, wenn es dem Kind in seiner Auseinandersetzung mit der Trennung und dem Getrenntsein von der primären Bezugsperson zunehmend gelingt (1) nur noch mit geringen negativen Gefühlen zu kämpfen und die Situationen in der Kinderkrippe als angenehm oder lustvoll zu erleben, (2)  sich den Menschen, Gegenständen und Angeboten mit Interesse zuzuwenden, und (3) in der Gruppensituation mit den Erwachsenen und anderen Kindern in dynamische, soziale Austauschprozesse zu treten (vgl. Fürstaller, Funder, Datler 2011). Ein Kleinkind, welches stumm, verängstigt und traurig herumsteht, ziellos herumwandert, stereotype Bewegungen, Hyperaktivität, Rückzug oder andere Verhaltensweisen zeigt, ist nicht eingewöhnt und kann auch nicht vom Bildungsangebot der Krippe profitieren. In den ersten Lebensjahren spielen sich die wichtigsten Lernfunktionen in der freudvollen Interaktion mit den Bezugspersonen ab. Die Ergebnisse aus der „Wiener Krippenstudie - WiKi“ der Universität Wien zeigen auf, dass sich die untersuchten Kinder während der Eingewöhnung sehr unterschiedlich verhielten. Eine Typenbildung war nicht möglich. Eingewöhnung sei daher individuell auf jedes Kind abzustimmen. Für diesen Prozess reichen wenigen Tage nicht aus. Manche Kleinkinder litten noch Monate nach dem Krippeneintritt von der Trennung und dem Getrenntsein von den Eltern, v.a. in belastenden Situationen. Die Eltern beobachten bei ihren fremdbetreuten Kleinkindern häufig Erkrankungen, Entwicklungsstillstand bzw. -rückschritte. Das Kleinkind muss seine ganze Energie in die Bewältigung der Trennung und der Gruppensituation stecken.

Mögliches Vorgehen bei einem Kleinkind (2-3 Jahre)

Sicher-gebundene Kleinkinder, die bereits erste Schritte von der Mutter hin zum Vater und anderen Familienmitgliedern getätigt haben, können sich am besten auf eine sanfte Eingewöhnung zu einer neuen Betreuungsperson einlassen und zu ihr eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen. Die Betreuungsperson, z.B. eine Kleinkindpädagogin begrüßt Mutter und Kleinkind beim Eingang und begleitet sie in den Betreuungsraum. Stellt der Vater ebenfalls eine starke Bindungsperson dar, kann die Eingewöhnung auch mit ihm erfolgen. Das für die Mutter Gesagte gilt hier dann ihm. Nach dem Eintritt wird der Raum gemeinsam angesehen und das Treiben darin beobachtet. Die Mutter vermittelt zwischen dem Kind und der Kleinkindpädagogin und bringt sich selbstverständlich in das Geschehen um ihr Kind ein. Sie zeigt der Kleinkindpädagogin, was das Kind mag, wie es sich typischerweise in bestimmten Situationen verhält, wie es sich beruhigen lässt, usw. Übergangsobjekte, wie das Schmusetier und der Lieblingsbagger von zu Hause können sehr hilfreich sein (Funder 2009). Die Kleinkindpädagogin versucht mit dem Kind Kontakt aufzunehmen. Auch ihr kann ein besonderes Maskottchen oder eine Puppe helfen, das Kind für sich zu gewinnen. Viele Kinder sind von Natur aus den körperlich so viel größeren Erwachsenen gegenüber zurückhaltend und kommunizieren leichter über ein ansprechendes Maskottchen. Manche Kinder wollen eine Weile beobachten, bevor sie Fremde an sich heran lassen, manche schließen schneller Kontakt. Schüchterne  Kinder brauchen mehr Nähe zur Mutter, welche sich dann als Bindeglied zur Kleinkindpädagogin, zum neuen Raum und den Spielsachen viel mehr einbringen muss. Kleinkinder mit einer stark ausgeprägten Entdeckerfreude kommen schneller aus sich heraus. Beginnt das Kind selbst aktiv zu werden, zu spielen und Kontakte zur Kleinkindpädagogin anzubahnen, kann die Mutter mehr und mehr in den Hintergrund rücken. Sucht das Kind Unterstützung, z.B. für ein Spiel, beim Essen, beim An- und Ausziehen usw., so „übergibt“ die Mutter diese Hilfeleistungen durch verschränktes Tun mehr und mehr an die Kleinkindpädagogin. Die ersten Eingewöhnungstage sollten eher kurz gehalten werden, damit das Kind in einer guten Verfassung die Betreuungseinrichtung verlässt und sie in „guter Erinnerung“ behält. Im Laufe der Eingewöhnungsphase kann sich die Mutter immer weiter in ihrer Vermittlungsfunktion zurücknehmen und im Raum zurückziehen, später in den Nebenraum und nach einigen Tagen oder Wochen kann sie sich erstmals verabschieden und die Betreuungseinrichtung verlassen. Allerfrühestens zwischen 2 und 3  Jahren kann sich ein kognitiv, sprachlich und sozial ausreichend reifes Kind, welches auch bereits eine tragfähige Beziehung zur Betreuungsperson aufbauen konnte, annähernd „abschiedsbewusst“ von der Bezugsperson trennen. Zugeständnisse und Mitgestaltung beim Abschiedsritual können dem Kleinkind die wichtige Chance bieten, ein wenig Selbstwirksamkeit zu bewahren. Kleinkindern, die sprachlich weit entwickelt sind, wollen vielleicht noch viel mit der Mutter beim Abschied reden und brauchen Erklärungen für ihr Fortgehen, andere verlangen dies weniger. Das Sprachverständnis der Kleinkinder ist jedoch oft noch viel geringer, als manche Eltern glauben wollen. Ein Kleinkind kann sich an den Abschied von einer geliebten Person nicht „gewöhnen“, lediglich durch zunehmende Reife und höhere Verstandesleistung den emotionalen Schmerz und die Trauer bewältigen, welche sich durch die Trennung von innerlich verbundenen Menschen immer ergeben. Kommt das Kleinkind mit dem Fehlen der Mutter emotional nicht zurecht und weint, muss es von der Mutter wie zunehmend von der Kleinkindpädagogin verständnis- und liebevoll getröstet werden. An der Fähigkeit zu Trösten zeigt sich, wie tragfähig die Beziehung zwischen dem Kleinkind und der Kleinkindpädagogin bereits ist. Gelingt es der Erzieherin nicht, das Kind zu beruhigen, sollte der Trennungsversuch abgebrochen werden. Sollten mehrere Trennungsversuche scheitern, muss überlegt werden, die Aufnahme in die Fremdbetreuung erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt erneut zu versuchen. Auf keinen Fall sollte ein weinendes oder gar schreiendes Kind von der Mutter zurückgelassen werden. Auch das Ausbleiben bzw. Versiegen der Tränen stellt keinen sicheren Hinweis für eine gelungene Eingewöhnung dar. Manche Kleinkinder neigen dazu, ihren Kummer nicht deutlich anzuzeigen, fallen kaum auf oder gelten als eingewöhnt und erhalten so nicht die Unterstützung, die sie benötigen.
Auch den Gefühlen der Mutter beim Abschied vom Kleinkind muss Respekt und Verständnis entgegen gebracht werden. Die sanfte Eingewöhnung unterstützt jedoch den Aufbau des gegenseitigen Vertrauens und der Erziehungspartnerschaft zwischen Mutter und Betreuungsperson. So kann sich die Mutter meist beruhigt von ihrem Kleinkind entfernen. Nach dem Abschied bleibt die Mutter abrufbereit in der Nähe, um notfalls zurückzukehren. Der zeitliche Rahmen einer sanften Eingewöhnung lässt sich im Vorhinein nicht abschätzen und sollte vor dem Wiedereintritt in den Beruf ausreichend großzügig bemessen werden. Erfahrungsgemäß beläuft er sich auf mehrere Tage, manchmal auch einige Wochen oder sogar länger. Normen dafür kann es keine  geben, denn die Temperamente der Kleinkinder, ihre individuelle Belastbarkeit, die unterschiedlichen Bindungsmuster und viele weitere Faktoren erfordern es, jede sanfte Eingewöhnung „maßgeschneidert“ an die Bedürfnisse des Kleinkindes anzupassen. Auch verläuft die Eingewöhnung selten geradlinig. Nach längeren Fehlzeiten durch Krankheit oder im Falle eines Entwicklungsrückschritts, welcher häufig nach der Geburt eines Geschwisters, einer Trennung der Eltern, einem Umzug oder einem Todesfall in der Familie auftritt, kann das Kleinkind wieder mehr Nähe zur Mutter suchen. Dann heißt es zurück an den Start, wobei die einzelnen Abschnitte der Eingewöhnung meist deutlich schneller durchlaufen werden. Geht das Kleinkind mit Freude in die Kindergarten-Räume, spielt es gerne mit den anderen Kindern und wendet es sich von sich aus seiner Betreuungsperson zu, endet die Eingewöhnungsphase. Das Kind hat in der Zeit der sanften Eingewöhnung idealer Weise für sich einen neuen Lebensraum erschlossen und Vertrauen zu seiner neuen Bezugsperson aufgebaut. Es hat dabei Achtung und Wertschätzung erfahren und wurde in seinen eigenen Autonomiebestrebungen unterstützt.

Zusätzliche Besonderheiten bei der Eingewöhnung eines Kleinstkindes
(1-2 Jahre)

Die Eingewöhnung wird unterstützt durch erste, deutliche Autonomiebestrebungen im Kind, eine starke Entdeckerfreude und die ersten großen Errungenschaften hinsichtlich der Beweglichkeit (Gehen, Greifen, Tragen), der Sprache, der Selbstständigkeit (Hände waschen, aus dem Becher trinken, Jacke aufhängen usw.) und des frühen Spiels. Übergangsobjekte (Schnuller, Schmusetier, Kuscheldecke) helfen dem Kleinstkind, in der fremden Umgebung  gegen Ängste und Verlassenheitsgefühle anzukommen.

Die Eingewöhnung wird erschwert durch die ambivalenten Gefühle, die das Kleinstkind gerade in seiner Entwicklung durch die auftretende Autonomiebestrebung zur Entstehung des „Selbst“ erfährt. Äußerlich kommt das Ringen um das eigene „Ich“ durch Widerstand, Trotz und Besitzansprüche („Alles meins!“) heftig zum Ausdruck. Das Kleinstkind  pendelt intensiv zwischen Fortstreben von der Bezugsperson und Wiederannäherung zu ihr („Halt mich fest und lass mich los!“). Es sucht in dieser Phase nach einer zweiten Bindung außer der Mutter und findet sie im Idealfall beim Vater. Sein „persönliches Selbst“ in all diesen Beziehungen zur Mutter, zum Vater und zu einer zusätzlichen, außerfamiliären Betreuungsperson zu finden, bedeutet für das Kleinstkind einen wahren Kraftakt. Fehlt das „autonome Vorbild“ des Vaters, fällt der Betreuungsperson diese wichtige Funktion als „zweite Bezugsperson“ im Leben des Kindes zu.

Wie soll der Abschied gestaltet werden? Die sanfte Eingewöhnung ist elternbegleitet und bezugspersonenorientiert. Die „sichere Erzieherin-Kind-Bindung“ (auch sekundäre Bindung) stellt die unumgängliche Bedingung für jede Trennung der Mutter/des Vaters vom Kleinstkind bis zum Alter von 2 Jahren dar. In diesem Alter kann die Forderung nach der „Abschiedsbewusstheit“ nicht eingelöst werden, denn das Kleinstkind hat selbst noch kein entsprechend ausgebildetes stabiles „Ich-Bewusstsein“ und „Selbst“ entwickelt. Die Missachtung der kindlichen Bindungsgefühle und Bedürfnisse bei der Trennung, können das Kleinstkind massiv verletzen. Es erlebt reine Ohnmacht. Doch es stellt sich nun die Frage, wie der sensible Punkt des Abschieds so schonend wie möglich dem Kleinkind zugemutet werden kann? Natürlich darf sich die Mutter nicht heimlich „davonschleichen“. Aus der Praxis zeigt sich, dass sich die Mutter von ihrem schon spielenden Kleinstkind bis zum Alter von 2 Jahren besser ohne große Vorankündigung und eher beiläufig mit kurzem Winken verabschiedet. Vermisst das Kleinstkind die Mutter später, muss es die Kleinkindpädagogin beruhigen können. Sie gibt ihm dabei einfache Erklärungen über das Fortbleiben der Mutter und betont die baldige Rückkehr derselben.

Zusätzliche Besonderheiten bei der Eingewöhnung eines Säuglings
(0-1 Jahr)

Und wenn eine Mutter ihr Baby einem Kindermädchen völlig überlässt, sollte ihr klar sein, dass in den Augen ihres Kindes das Kindermädchen die wirkliche Mutter sein wird und nicht Mammi.“ John Bowlby

Der Säugling bildet in den ersten sechs Monaten seine allererste Bindung zu einem anderen Menschen, meistens der Mutter, überhaupt erst aus. Den Säugling in dieser Phase durch Betreuungswechsel zu irritieren, wirkt sich auf seine grundsätzliche Beziehungsfähigkeit negativ bis katastrophal aus. Nur Notsituationen (Tod oder schwere Erkrankung der Mutter) können einen längeren Betreuungswechsel in diesem Alter überhaupt rechtfertigen.
Im zweiten Lebenshalbjahr (manchmal sogar noch früher) zeigt der Säugling, der eine erste Bindung zur Mutter aufbauen konnte, durch sein „Fremdeln“ seine enorme Empfindlichkeit gegenüber fremden Personen an. Übergänge müssen auf das Sorgfältigste vorbereitet und begleitet werden. Der Säugling wird mit seiner Betreuungsperson eine sehr intime, prägende  Bindung eingehen. Dieser „Mutterersatz“, der durch seine Zuwendung und Pflege das „Wohl des Kindes“ sprichwörtlich in Händen trägt, wird zeitlebens im Innenleben des Kindes tief in den Gefühlen verankert existieren. Sprachliche und bewusste Erinnerungen aus der frühesten Kindheit sind später nicht möglich, der Name der Pädagogin kann nicht bewusst memoriert werden. Die  „Beziehungsvolle Pflege“ nach Emmi Pickler stellt eine Schlüsselsituation für die Übergabe von der Mutter zur Betreuungsperson dar. Während der Eingewöhnung wickelt die Mutter den Säugling selbst. Die Betreuungsperson wird anfangs nur dabei sein und erst nach und nach bei einzelnen Tätigkeiten „mithelfen“, soweit sie vom Säugling toleriert wird. Der Säugling darf dabei nicht überrumpelt werden. Mit der Frage „Darf ich dich wickeln?“ bekommt der Säugling wenigstens die Chance, Kontakt mit der Betreuungsperson aufzunehmen. Verstehen kann er die Frage nicht, aber durch seine Reaktionen etwas von seinen inneren Regungen seiner Mutter und seiner Betreuungsperson anzeigen. Diese wiederum sollten auf die Signale des Säuglings entsprechend reagieren. Während der Pflegemaßnahme ist Zeit für intensive Zuwendung. Ein größtmögliches Maß an Eigenentscheidung und Mitmachen wirken der „Wickelpanik“ entgegen. Sich von einer Betreuungsperson wickeln zu lassen, ist ein Vertrauensbeweis. Verbringt der Säugling zu viel Zeit mit der Erzieherin, kann es zu einer Bindungsverwirrung oder einer Verschiebung der Bindungshierarchie kommen. Solche Kinder weinen am Wochenende nach ihrer Erzieherin und lassen sich nur durch sie trösten. Verlässt die Erzieherin die Krippe oder wechselt das Kind in eine neue Betreuungseinrichtung ohne sanfte Übergangszeit, verliert es schlagartig seine wichtigste Bezugsperson. 

2. Die harte Ablösung in die Betreuungseinrichtung

Säuglinge und Kleinkinder reagieren sehr empfindlich auf große Veränderungen. Sie benötigen je nach Veranlagung und Temperament grundsätzlich einige Zeit, um mit neuen Situationen zurechtzukommen. Bei einem harten Übergang in eine Betreuungseinrichtung muss das Kind längere Zeit große Ängste ertragen und das verletzende Gefühl, von seiner Bezugsperson im Stich gelassen zu werden. Die Reaktionen der Kinder fallen je nach Bindungsmuster jedoch unterschiedlich aus. Diese Tatsache macht es für Eltern und Betreuungspersonen so schwierig, das Verhalten der Kinder und seine Bedürfnisse richtig einzuschätzen, zu verstehen und passend darauf zu reagieren. Sicher-gebundene und unsicher-ambivalent gebundene Kinder protestieren mit Zunahme der Unsicherheit heftig bis panisch, unsicher-vermeidend gebundene Kinder zeigen ihre Belastung kaum und fressen Angst, Wut und Trauer in sich hinein. Desorganisierte/desorientiert gebundene Kinder stellen eine Ausnahme dar: Sie reagieren auf den Abschied meist gar nicht oder laufen gleich zur neuen Betreuungsperson über. Die Erfahrung der harten Ablösung wiegt bei den meisten Kindern schwer und setzt in einer frühen Entwicklungsphase das Selbstwertgefühl herab. Sie spalten ihre Gefühle wegen der Unerträglichkeit ab. Da sich Kinder durch ihr Leben in Abhängigkeit an nahezu jede Situation anpassen können (und müssen), lässt ihr Widerstand nach einiger Zeit nach. Unter Eltern, Kleinkindpädagogen und sogar Fachpersonen herrscht daher allzu oft der Glaube vor, ein Kind sei seelisch ausgesprochen robust. Manche behaupten sogar, der Trennungsschmerz stärke das Kind. Diese Sichtweise wird vielerorts in den Bildungsanstalten für Kleinkindpädagogen nach wie vor so gelehrt und entspricht dem weit verbreiteten Unverständnis unserer Gesellschaft der Gefühlswelt des Kindes gegenüber. Das Defizit an bindungstheoretischem, entwicklungspsychologischem und traumapsychologischem Wissen geht zu Lasten des Kindes. Aus heutiger Sicht wissen wir, dass das Gegenteil der Fall ist. Die harte Ablösung kann ein Trennungstrauma auslösen und nachhaltig die eigene Empfindungsfähigkeit, die emotionale Belastbarkeit und die Beziehungsfähigkeit zu anderen Menschen negativ beeinflussen. Oftmals gerät das gesamte Familiengefüge durcheinander. Beziehungsstörungen sind die Folge. Derartige Störungen in der frühen Kindheit können über die sozialen und emotionalen Beeinträchtigungen hinaus die Konzentrationsfähigkeit und die Lernfähigkeit schwächen. Traumatische Verlusterfahrungen in einer Zeit, in der Kinder noch nicht ausreichend sprechen können, graben sich besonders tief in die Gefühlswelt ein und tauchen oftmals als komplexe Gefühls- und Beziehungsverstrickungen bei späteren „kritischen Übergängen“, grundlegenden Veränderungen bzw. Krisen wieder auf, z.B. Schuleintritt, Schulübertritt, Pubertät, Studienbeginn, Berufseinstieg, Aufnahme,  Verlauf und Ende einer Partnerschaft, Geburt und Erziehung eigener Kinder, Schicksalsschläge, Erkrankungen, Todesfälle. Es wurde weiter nachgewiesen, dass die Mutter-Kind-Bindung von einem sicheren in ein unsicheres Muster kippen kann, falls die Eingewöhnung ohne Rücksicht auf die Bindungsgefühle des Kindes erfolgt. Eine bereits etablierte sichere Bindung zu zerstören, beraubt dem Kind die bedeutsamste „seelische Schutzfunktion“ für sein gesamtes weiteres psychisches Leben und kann von keinem Erwachsenen gewollt sein, der sich für die nächste, jüngere Generation verantwortlich fühlt. Jede Betreuungsform, welche sich Parolen wie „Ihr Kind in besten Händen“ „bestens betreut“ „kindgerecht“ „das Kind im Mittelpunkt“ auf ihre Fahne schreibt, muss sich mit den Themen  Betreuungsqualität, Übergang, Trennung, Verlust und Bindung intensiv auseinandersetzen, will sie ihre eigenen Versprechungen einlösen.
Funder, A. (2009). Bedeutung von Übergangsobjekten als Trennungshilfe für Kinder in Kinderkrippen und Kindergärten. In: Zeitschrift für Individualpsychologie 34 (4), S. 432-458.

Fürstaller, M., Funder, A., Datler, W. (2011). Wenn Tränen versiegen, doch Kummer bleibt. Über Kriterien gelungener Eingewöhnung in die Kinderkrippe. In: Frühe Kindheit. Zeitschrift der Deutschen Liga für das Kind, 14 (Heft 1), 20-26 >Download im Internet: http://liga-kind.de/fruehe/111_datler.php, Datum des Zugriffs: 23. Juli 2012

Fürstaller, M., Funder, A., Datler, W. (2012). Wie Eingewöhnung an Qualität gewinnen kann: Zur Weiterqualifizierung pädagogischer Teams für den Bereich der Eingewöhnung von Kleinkindern in Kinderkrippen und Kindergärten.Projektdarstellung, Projektbericht und Empfehlungen aus dem Projekt WiKo – ein Wiener Projekt zur Eingewöhnung von Kleinkindern in Kinderkrippen und Kindergärten. Phaidra: Wien. Kontaktadresse: ilse.schauhuber@univie.ac.at, Sekretariat Univ.-Prof. Dr. Wilfried Datler >Download im Internet: http://phaidra.univie.ac.at/o:127771, Datum des Zugriffs: 23. Juli 2012

Posth, R. im Internet: www.rund-ums-baby.de/entwicklung/ unter Suchen mit Stichwort: Trennung wie am besten?

Siehe auch die Publikation „Verantwortung für Kinder unter 3 Jahren“ der Gesellschaft für seelische Gesundheit in der frühen Kindheit www.gaimh.org
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